Mit dem alphanumerischen Code zum Computeranalphabetismus

Geschrieben von Felicitas Fiedler

Textgrundlage: Kittler, Friedrich: „Computeranalphabetismus“, in: Matejovski, Dirk; ders. (Hgg.): „Literatur im Informationszeitalter“, Frankfurt a. M. 1996, S. 237-251

Friedrich Kittlers Veröffentlichung Computeranalphabetismus beschreibt die Entstehung einer neuen Sprache, welche sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt hat, jedoch vom Großteil der Menschheit heutzutage kaum verstanden wird: der Programmiersprache.

Auch das Computerzeitalter fand seine Anfänge einmal im Geschriebenen, der Literatur. So beschrieb Alan Turing in seiner Dissertation das Prinzip von Computern anhand einer einfachen Papiermaschine. Noch bedeutender für die die Entwicklung des digitalen Zeitalters war aber die Arbeit von Shannon. Dieser demonstrierte das Funktionieren einer Maschine, welche durch eine endlose Abfolge binärer Elemente gesteuert wird. Diese Binarität bildet auch derzeit noch die Grundlage für die Inbetriebnahme eines jeden Computers. Von diesen beiden Mathematikern stammen sozusagen die heutigen Programmierer ab, welche unentwegt damit beschäftigt sind, Quellcodes für Maschinen zu erstellen. Diese sind allerdings nicht mehr dazu bestimmt, von Menschen, sondern ausschließlich von Maschinen gelesen werden zu können. Der Alphabetismus unserer Kultur ist somit sprichwörtlich zu diesen Quellcodes implodiert. Auch die europäische Schriftkultur leidet unter dem Computerzeitalter, da das Schreiben nunmehr einem Automaten überlassen wird.

Trotz der Einfachheit des binären Systems eines Computers existiert auch eine Kehrseite, da sich beim programmieren oft Fehler einschleichen: Parameter müssen korrekt zugeordnet und Prozeduren mit einem Semikolon abgeschlossen werden. Das Vergessen eines solchen Satzzeichens würde im normalen Leben keine großen Auswirkungen haben, in der Programmiersprache jedoch kann es jedoch verheerende Konsequenzen haben und Abstürze der Maschine verursachen. Beim Verfassen eines Quellcodes werden meist Dreiviertel der Zeit dafür verwendet, Fehler zu suchen und beheben. Die Logik hinter dem Computeralphabetismus besteht darin, dass auf den zeilenorientierten Benutzeroberflächen immer nur ein Zustand, also ein Zeichen, an einer bestimmten Stelle stehen kann.

Beim Programmieren geht es nicht mehr darum, das Geschriebene anschaulich zu machen. Ganz im Gegenteil: es existieren Codes, welche weder dazu geschrieben werden, den Menschen zu interessieren, geschweige denn überhaupt an diesen gerichtet sind. Wer nicht zur alphanumerischen Elite gehört, wird schlichtweg als Computeranalphabet bezeichnet. Für diese Benutzer wurden Betriebssysteme wie Windows entwickelt, um ihnen die Bedienung des Computers zu erleichtern. Der Computeranalphabet ist sozusagen abhängig von diesem undurchschaubaren Code. Um ihm den Umgang damit zu erleichtern, wurden Benutzerschnittstellen in den analogen Multimediasystemen geschaffen. Hinter einer immer anschaulicher werdenden graphischen Standartoberfläche und der schon mittlerweile dritten Dimension werden die komplizierten Codes vor dem analphabetischen Kunden versteckt und benutzerfreundlich gestaltet, sodass dieser auch bestimmt nicht damit in Berührung kommt: eine bloße Verkaufsstrategie, da die Graphikprogrammierung im Grunde genommen Zeitverschwendung ist, da sie dem eigentlichen Sinn des Programmierens nicht mehr nachgeht. Und trotzdem die meisten Menschen ihren Computer nur als eine Art Schreibmaschine benutzen, finden die immer weiterentwickelten Graphik-Oberflächen Zuspruch. Die technischen Möglichkeiten, die ein Computer heutzutage bietet, werden keinesfalls vollständig ausgenutzt, denn nur „Computer sind überhaupt noch imstande, Computer schneller und besser als sie selber zu konstruieren.“1)

Die Theorie auch die Natur würde einem alphanumerischen Code unterliegen, wirft jedoch auch die Grenzen der kompliziertesten Maschine auf, da selbst diese nicht in der Lage sein wird, mit der Komplexität von Naturphänomenen mitzuhalten.

1)
Kittler 1996, S. 249