Inhaltsverzeichnis
Stundennotizen 17.Juni 2013
Erstellt von Carolin Bernhofer
Textgrundlage
Marshall McLuhan: „Die umstrukturierte Galaxis oder die Notlage des Massenmenschen in der individualistischen Gesellschaft“ mcluhan1995.pdf
Besprochene Inhalte
Marshall McLuhan kann als Verantwortlicher ausgemacht werden, für die immense Konjunktur des Medienbegriffs in den letzten 30 Jahren. McLuhan gehört zur Torontoer Schule der Medientheorie und bezieht viele seiner Einsichten von seinem älteren Kollegen Harold Adams Innis. McLuhan schreibt am Eingang seines Buches „Die Gutenberg-Galaxis: das Ende des Buchzeitalters“, es sei nur eine Fußnote zu den Arbeiten Innis‘.
Die Geschichtsbetrachtung des Wirtschaftshistorikers Innis umfasst die Geschichte der Wirtschaft, Politik, Kultur und Technik (auch im Sinne einer Schreibtechnik). Er schrieb über die Wirtschaftsgeschichte der Kolonie Kanadas und deren Produktionsbestimmung durch wenige Infrastrukturkanäle, beispielsweise anhand des Pelzhandels. Auch Innis ist der Torontoer Schule zuzurechnen, einen Beobachtungsposten an der Peripherie darstellte, denn einerseits war Kanada in den 50er Jahren noch stark kolonial also europäisch geprägt und andererseits befindet es sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den USA. Daraus ergab sich eine komparatistische Perspektive. In seinem Werk „Empire and Communications“ erzählt Innis die Weltgeschichte der Imperien über die Geschichte ihrer Kommunikationskanäle.
Im weiteren Arbeiten McLuhans wird Innis kaum noch als Referenz genannt. In der Bezugnahme auf Innis sind auch für McLuhan, der Anglist war, Kommunikations-„techniken“ von Interesse. Davon ausgehend fragt er nach den jeweiligen Agenturen des Schreibens. McLuhan beschreitet von den 50er in die 60er Jahre hinein mit seiner Theorie einen Weg, der zunächst keinen eindeutigen Namen hat, bis man McLuhan selbst schließlich als Medientheoretiker oder Medienästhetiker bezeichnet. Sein Schreibstil ist von eher aphoristischer und essayistischer Machart, insofern arbeitet er kaum mit scharfen Begrifflichkeiten. Von „Theorie“ im eigentlichen Sinne zu sprechen ist daher nicht gänzlich zutreffend, lediglich in seinem Buch „Understanding Media“ gibt es einen Vorspann im Stile gewöhnlicher theoretischer Schriften. Besser kann sein Denken als „phänomennah“, das heißt stark an die künstlerischen Artefakte gebunden beschrieben werden. Die Medientheorie McLuhans ist eine Beschäftigung mit den Weisen des menschlichen Zusammenlebens durch die Analyse des Umgangs mit Kulturtechniken. Sein Medienbegriff ist weit gefasst und lässt beispielsweise zu, Geld, Kleidung oder Comics auf entsprechende Medienfunktionen hin zu untersuchen.
Uns allen geläufig ist die zentrale These McLuhans „The medium is the message“. Der wesentliche Gedanke dieser Aussage lässt sich auch im vorliegenden Text „Die umstrukturierte Galaxis oder die Notlage des Massenmenschen in der individualistischen Gesellschaft“ finden. Um uns dies zu verdeutlichen, möchten wir einerseits McLuhans Begriff des „Mediums“ verstehen und wollen andererseits die wesentlichen Züge seiner Theorieim Ganzen betrachten.
Der Text richtet seinen Blick auf die Kulturgeschichte unter dem Vorzeichen der Medien, und diese Mediengeschichte ist offenbar eine der radikalen Brüche. Wiederholt gab es Medien, die stabile Verhältnisse schufen -kulturgeschichtlich gesehen-, bis es an einem gewissen Punkt zu einer radikalen Neuerung kam. McLuhan sieht sich auf der Schwelle zwischen der Gutenberg-Galaxis und dem “elektrischen Zeitalter“ stehend. Seine Theorien betreffend, ist für McLuhan schließlich das Fernsehen das paradigmatische Medium.
Der Begriff der Gutenberg-Galaxis geht aus der Betrachtung des Verhältnisses des Menschen zum Buch hervor. Ein Medium ist für McLuhan immer eine materielle Technik. Medien als materielle Techniken wirken formierend auf den menschlichen Wahrnehmungsapparat. Insofern ist McLuhans Mediengeschichte auch eine Geschichte der Wahrnehmung. Fortgesetzt prägen materielle Techniken über den Weg der Wahrnehmung die Denkformen des Menschen. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Kulturgeschichte, betrachtet als Mediengeschichte, sich vollzieht als ein Austauschen von Sinnesorganen ausgelöst durch das Aufkommen neuer Medien.
Die Aussage „The medium is the message“ eröffnet den Blick auf die Bedeutung und Beschaffenheit der Botschaft in Kommunikationssituationen. Das Medium ist die Botschaft insofern für McLuhan das Entscheidende am Kommunikationssystem das System selbst ist, da in ihm bereits die Festlegung getroffen ist, was überhaupt kommuniziert werden kann. In gewisser Weise bedeutet diese Sicht auch eine Umkehrung des Verhältnisses von Form und Inhalt, die Kommunikationsform als -technik bestimmt den Inhalt und macht diesen bereits zu einem wesentlichen Teil aus.
Nach dieser vorangestellten Kontextualisierung, widmen wir uns den eigentlichen Textinhalten. Der Kerngedanke der Aussage „The medium is the message“ findet sich in folgendem Textzitat (S. 327 f): „Die Einbildungskraft (Imagination) ist jenes Verhältnis zwischen den Wahrnehmungen und den geistigen Anlagen, das besteht, wenn diese nicht in materielle Techniken eingebettet oder veräußerlicht sind; ist dies der Fall, dann wird jeder Sinn und jede Anlage zu einem geschlossenen System. Solange dies nicht geschieht, besteht ein vollkommenes Wechselspiel zwischen allen Erfahrungen. Dieses Wechselspiel oder diese Synästhesie stellt eine Art von Taktilität dar, wie sie Blake in der Umrißlinie der plastischen Form und in der Radierung suchte.
Wenn die eigensinnige Erfindungsgabe des Menschen einen Teil seines Wesens in einer materiellen Technik veräußerlicht hat, dann verschiebt sich sein gesamtes Sinnesverhältnis. Alsdann wird er gezwungen, dieses Bruchstück seiner selbst zu betrachten, wie „es sich wie in Strahl“ einschließt. Beim Betrachten dieses neuen Dinges wird er gezwungen, es zu werden.“
In einer Weiterführung Immanuel Kants Theorie der a priori Welterfahrungen pluralisiert McLuhan den apriorischen Charakter. McLuhan geht von einem mythischen Zeitalter des Menschenbeginns aus, einem Zeitalter in dem ein rein imaginatives Weltverhältnis herrschte und alle Sinnesfelder des Menschen in die Erfahrung dessen integriert waren. Diese Welterfahrung setzt zudem die permanente Übersetzung der Eindrücke zwischen den Sinnesfeldern voraus, die „Taktilität“ kann verstanden werden als das Zusammenspiel der verschiedenen Wahrnehmungen, weit über das Tasten allein hinaus. Bildlich gesprochen handelt es sich hierbei um ein „eingetauchtes“ Weltverhältnis.
Dem gegenüber steht das lineare Weltverhältnis der Gutenberg-Galaxis. Die Linearität des gedruckten Buches, im materiellen Sinn auch als Linearität der Produktion, erzeugt letztlich eine ganze Kultur der Linearität. Insbesondere ermöglicht diese Kultur die Ausprägung eines linearen Denkens in Bezug auf einen linearen Geschichtsverlauf. Ein solcher unterscheidet sich in seiner logischen, historischen, linearen Weise vom mythischen Denken. Der Mythos beispielsweise basiert stark auf Wiederholungen verschiedenster Art. In der Malerei entwickelte Leon Battista Alberti in Rom die erste Theorie der Perspektive. Er beschreibt dabei den Blick durch ein Fenster von einem Innenraum nach draußen, ein fester Standpunkt bildet somit den Ausgang der Betrachtungen. Insgesamt verschaffte die Moderne mit ihrem Vorlauf in der griechischen Antike dem Linearen, Visuellen und Perspektivischen den Vorrang.
Bereits im 19.Jahrhundert eingeleitet, kommt es zur Zeit McLuhans zu einer Wiederkehr des mythischen Weltverhältnisses, in die Gutenberg-Galaxis dringt etwas Neues ein, es sind die elektrischen und elektronischen Medien. Hierbei kommt es zu Spannungen, auch Bildungsfragen betreffend und McLuhan liefert mit seinen Büchern insbesondere Vorschläge für ein Bildungssystem, das die Herausforderungen aus dem Auftauchen der neuen Medien bewältigen kann. Wie bereits erwähnt, ist das Fernsehen für McLuhan das paradigmatische Medium welches er als eine taktile Technik auffasst. Dies begründet McLuhan damit, dass im Unterschied zum perspektivischen Kinofilm Fernsehbilder mosaikartig aufgebaut sind und das physiologische Interagieren des Betrachters mit dem ständigen, pixelweisen Aufbau der Fernsehbilder nötig ist um uns schließlich Bilder als Ganze sehen zu lassen.
McLuhans argumentiert, indem er in ihrer direkten Entgegensetzung zwei Positionen aufbaut und entwickelt, die Linearität und individuelle Perspektive einerseits und die Mythologie und das einbezogene, ganzheitliche Weltverhältnis andererseits. McLuhans Texte allgemein betreffend ist eine derartige Argumentationsweise charakteristisch. Zudem wesentlich an McLuhans Vorgehen ist, dass ihm die Kunstgeschichte und Literatur das Arsenal für die Argumente liefern. Im vorliegenden Text führt McLuhan zunächst eine Reihe kunstgeschichtlicher Beobachtungen an, die über verschiedene ästhetische Konzepte auf die menschlichen Sinne verweisen. So wird mit der Kunst- und Literaturgeschichte ein sich vollziehender Wandel in der Geschichte der Wahrnehmung aufgedeckt. Diese Befunde gehen schließlich ein in die Entwicklung einer allgemeinen Kulturgeschichte.
Im Text zeigt McLuhan Stellen auf, an denen es Strategien gab, das Konzept der Linearität und insbesondere die Linearität des gedruckten Buches zu unterwandern. Auf der Seite der Malerei gab es entsprechende Tendenzen sich des perspektivischen Sehens zu entziehen. Denn auf der bildlich-visuellen Ebene entspricht die Gutenberg-Galaxis den perspektivischen Bildern mit Fluchtpunkt und Aufpunkt, die Bilder haben einen Blick- oder Betrachtungspunkt, der in ihnen bereits enthalten ist. Das perspektivische Bild entspricht dem Blick von einer isolierten, individualistischen Perspektive aus auf die Welt. Dem entgegengesetzt sind die „Illuminations“ in denen die Perspektive durch eine Schattenlosigkeit aufgehoben wird. Die Buchillustration dieser Art wirkt eher imaginativ denn illustrativ über ihre reine Farbintensität.
Abschließend sprechen wir über James Joyce, einen maßgeblichen Vertreter des im Text als weitere literarische Erscheinungsform aufgeführten „Bewusstseinsstroms“ und seine Bedeutung für McLuhan. Joyce war für McLuhan der entscheidende Autor, auch seine Theorie zum Fernsehen basiert auf Joyces Beschreibung des Fernsehens in seiner Prosa. Joyce beschreibt die ästhetische Rezeption des Fernsehgeräts als das Wahrnehmen einer Lichtattacke, was McLuhan später aufgreift.
Besprechen wir die weitere Argumentation des Textes zwar nicht mehr im Detail, so enden wir doch mit McLuhans Feststellung, dass die moderne Kunst, da sie auf die Wirkung beim Rezipient abzielt, das menschliche Sensorium zu studieren hat. Schließlich kann von der Programmierung der Sinne als der Aufgabe moderner Kunst gesprochen werden.